Aktuelle Diskussion
Der „ewige Streit“ um die doppelte Staatsangehörigkeit ist wieder aufgeflammt, zunächst in den Debatten um Terrorismusabwehr und innere Sicherheit, und nun auch anlässlich der aufgeheizten Auseinandersetzungen mit der Türkei. Der CDU-Bundesparteitag 2016 votierte inzwischen dafür, die 2014 abgeschaffte „Optionspflicht“ für Einwandererkinder wiedereinzuführen: Junge Migrant/innen sollen sich wie früher für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Der in der großen Koalition eingegangene Kompromiss sei ein Fehler gewesen.
Dagegen steht der Vorwurf: das Thema „Mehrstaatigkeit“ werde instrumentalisiert, habe mit er Inneren Sicherheit nichts zu tun und ziele in der Praxis nur gegen türkischstämmige Menschen. Das Gesetz müsse vielmehr an die Lebenswirklichkeit der Einwanderer angepasst werden.
Das Gesetz
Die Einbürgerung ist seit den 90er-Jahren mehrfach erleichtert worden. Bei der letzten Liberalisierung 2014 entschied der Bundestag, dass in Deutschland geborene Einwandererkinder zwei Pässe haben dürfen. Zuvor mussten sie sich bis zum 23. Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden („Optionspflicht“). Grundsätzlich sieht das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) aber vor, dass alle Ausländer bei ihrer Einbürgerung ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben. Davon gibt es jedoch bereits heute zahlreiche Ausnahmen, unter anderem durch EU-Recht.
Ihren ursprünglichen Pass behalten dürfen:
• alle EU-Bürger und Schweizer
• Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge
• Ausländer, deren Staaten keine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft kennen (z.B. Mexiko und Costa
Rica) oder diese faktisch verweigern (wie etwa Afghanistan, Iran, Eritrea, Syrien oder Thailand)
• Menschen, denen die Entlassung regelmäßig versagt oder von unzumutbaren Bedingungen
abhängig gemacht wird, die beispielsweise durch Erbangelegenheiten größere wirtschaftliche
Nachteile hätten oder als Ältere gesundheitlich eingeschränkt sind.
Zahlen
Bei den Einbürgerungen im Jahr 2017 behielten insgesamt 64 Prozent ihren ursprünglichen Pass.
Von den EU-Angehörigen betraf das 98 Prozent, Türkeistämmige mussten dagegen zu 87 Prozent die türkische Staatsangehörigkeit aufgeben.
Von der Aufhebung der Optionspflicht profitierten laut Integrationsbeauftragte der Bundesregierung 509.387 „Optionskinder“ der Geburtsjahrgänge 1990 bis 2012. Pro Jahr kämen im Schnitt rund 30.000 Menschen dazu.
(Quelle: ZEIT ONLINE vom 8. Dezember 2016)
Wie viele Menschen in Deutschland einen zweiten Pass besitzen, ist unklar. Die Zahlen schwanken extrem zwischen 1,8 Millionen (Mikrozensus von 2018) und 4,3 Millionen (Volkszählung 2011). Das Statistische Bundesamt nimmt an, dass aufgrund der zunehmenden Mehrstaatigkeit in den letzten
Jahrzehnten wohl die Zahl der Volkszählung „näher an der Wahrheit“ liege als die der Haushaltsbefragung
Mikrozensus.
Die Position der IG Metall
• Politische Mitbestimmung in Deutschland ist an die Staatsangehörigkeit gekoppelt: Ohne
deutschen Pass keine Teilnahme an Bundestags- oder Landtagswahlen. Wer nicht EU-Bürgerin oder
Bürger eines EU-Mitgliedstaates ist, bleibt sogar auf kommunaler Ebene politisch ausgeschlossen.
Keine Stimme bei Kommunalwahlen, keine Stimme beim Bürgerbegehren, keine Stimme bei Volksbefragungen oder Volksabstimmungen. In vielen Städten sind mittlerweile mehr als 30 Prozent und mehr von der Mitgestaltung ihres Lebensumfeldes ausgeschlossen.
• Die im Gesetz widergespiegelten Positionen sind im Grunde unvereinbar: „Ja“ zur doppelten Staatsbürgerschaft durch Geburt, „nein“ bei der Einbürgerung.
• Die Einbürgerungszahlen in Deutschland sind im internationalen Vergleich gering. Von den über
fünf Millionen Ausländern, welche die Voraussetzungen für Einbürgerung erfüllten, wurden 2018 nur 2,2 Prozent eingebürgert. In sämtlichen Umfragen führen Ausländer als einen zentralen Grund gegen eine Einbürgerung an, dass sie dafür ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssten.
• Am Beispiel des Betriebsverfassungsgesetzes ist zu sehen, wie wichtig politische Gleichberechtigung ist: Alle Beschäftigten dürfen wählen und gewählt werden – unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Infolgedessen sind Menschen mit Migrationshintergrund in den betrieblichen (und gewerkschaftlichen) Gremien sehr gut repräsentiert.
Stand: Juni 2017; Zahlen aktualisiert in 2019